der Freitag, 11.05.2015

"Die Oberfläche der Narration"
Fabian Tietke

Schicht

"Eine Wohnsiedlung in Salzgitter. Mehr Westdeutschland geht schwerlich. Ein Kameraschwenk nach oben offenbart die Nähe der Siedlung zum Industriegebiet. Dann geht es mit dem Lastenfahrstuhl hinunter. Der Ausflug in die Familiengeschichte und nach Salzgitter – er wirkt wie ein Ausflug in die Welt Westdeutschlands, die wenig beachtet mit dem Fall der Mauer auch an ihr Ende kam. Westdeutschland hatte die letzten Jahrzehnte der Mauer erfolgreich ausgesessen, Kinder waren nach Schlagerstars wie Alexandra benannt worden: „Illusionen blühn im Sommerwind // treiben Blüten, die so schön // doch so vergänglich sind // pflückt sie erst an deinem Wege die Erfahrung // welken sie geschwind.“

Wie auch der Film Karin och Kuratorn beginnt Schicht mit einem Todesfall. Doch Schicht eröffnet jenseits der einfachen Erzählung einen assoziativen Nachhall durch eine Kommentarstimme, die ständig Stichworte gibt und Medienbilder, die zwischen der Handlung eingeblendet werde.

Während wir Rudolf Gerbaulet, dem Vater der Filmemacherin beim Joggen mit seinem Hund folgen, mit ihm nach wenigen Ecken auf einen Feldweg zwischen zwei Stadtteilen einbiegen und wieder in die Wohnsiedlungen zurückkehren, erzählt der Film die Geschichte Salzgitters als Teil der nationalsozialistischen Kriegsvorbereitungen, etwa von Bau der Hermann-Göring-Werke als Motor der Stadtentwicklung. Fotos zeigen wie alltäglich wie die deutsche Geschichte sich auf einer Faschingsfete der 1950er Jahre zeigte: Hitler, Kaiser Wilhelm II. sind dabei.

Je weiter wir von der Geschichte der Eltern in die Jugend der Filmemacherin vordringen, desto deutlicher wird der selbstreflexive Ton, aber auch das Gefühl des Nicht-dazugehörens. Ein holzfurniertes Krankenbett ist das Gegenbild zu den Aufnahmen aus der Wohnung des Vaters, der läuft wie viele Männer dieser Generation laufen: Ein wenig stampfig, den Oberkörper steif, als hätte er übers Malochen das Tanzen verlernt.

Schicht ist geschnitten von Philip Scheffner, der gemeinsam mit Merle Kröger an der Dramaturgie des Films mitgearbeitet hat. Auch wenn Schicht deutlich anders arbeitet als Scheffners eigene Filme, verbindet die Filme Scheffners und Gerbaulets ein Vertrauen aufs Bild, die Neugier auf ungewohnte Zusammenhänge und ein Interesse am Auffinden von Geschichte im Kleinklein des Alltäglichen.

Schicht zeigt die Familiengeschichte, die Krankheit der Mutter, Aufnahmen aus dem bürgerlichen Leben im Reihenhaus und in der Wohnsiedlung, die Schändungen eines Friedhofs, auf dem Opfer der Zwangsarbeit bei den Hermann-Göring-Werken liegen. All diese verschiedenen Geschichten existieren nebeneinander, durchdringen sich und werden zu einem Profil deutscher Lebenswirklichkeit. Die gespenstische Vertrautheit vieler Bilder aus dem Haushalt der Eltern, dem Familienalbum, machen Schicht anknüpfungsfähig für Erinnerungen an die eigene Vergangenheit, auch jenseits von Salzgitter."